Es hat mich etwas Zeit und Mut gekostet, diesen Text zu schreiben. Irgendwie fühlt es sich so an, als sei ein Teil von mir immer noch im Spinnennetz dieser Beziehung gefangen.
Ich nenne ihn mal Aaron. Es fing alles eigentlich sehr schön an. Tolle Komplimente, viel Verständnis, ein Mensch, der mich unter der fehlerhaften Oberfläche sah. Ich bewunderte ihn und fühlte mich geschmeichelt, dass so jemand so viel Wert auf mich und meine Nähe legte. Was ich nicht merkte: All die schönen Worte waren ein leichter Weg, mich langsam aber sicher gefügig zu machen. Als dann nämlich aus Komplimenten Seitenhiebe wurden und aus Verständnis Vorwürfe – war ich emotional bereits so von dieser Bindung abhängig, und so überzeugt von seiner Lebenskompetenz, dass ich ihm jedes Wort glaubte wenn er sagte, ich sei zu unzuverlässig, zu schusselig, zu naiv.
Drei Jahre zogen so ins Land. Und ich in eine andere Stadt, was er mir vorwarf, aber wir blieben zusammen. Zwei weitere Jahre, in denen er morgens das erste, abends das letzte war, an das ich dachte – aber der Gedanke hinterließ kein warmes Gefühl in mir. Hab ich mich gestern genug gemeldet? Ist bei ihm alles gut – oder braucht er meine Hilfe? Davon brauchte er nämlich viel. Emotionalen Beistand, selbst, wenn ich im Kopf woanders war, meine eigenen Sorgen und Probleme hatte – ich musste meine physische Abwesenheit mit ständiger Erreichbarkeit wieder gutmachen. Einmal habe ich fast einen Zug verpasst, weil ich mit ihm am Telefon eine Mail verfassen musste. Er wusste, dass ich in Eile war. Ich kam nicht mal auf die Idee, ihn abzuwimmeln.
Das ist ein wichtiger Punkt. Eine toxische Beziehung besteht nicht nur aus einer, sondern aus mindestens zwei beteiligten Personen. Jemanden anderes hätte er vielleicht nicht manipulieren können, mich aber schon. Ich habe sein Verhalten begünstigt, indem ich es zugelassen habe. Ihn vor mir selbst und anderen immer wieder entschuldigt habe. Und ich habe mitgemacht. Schließlich dachte ich doch, dass er viel älter, viel klüger und vor allem erfahrener war als ich. Ich habe ihn geliebt.
Jemanden anderes hätte er vielleicht nicht manipulieren können, mich aber schon.
In der Retrospektive erkenne ich erst, wie viele Beziehungen in seinem Leben in Kontaktabbruch geendet haben: Exfreundinnen, ehemals gute Freunde, sogar seine Eltern. Eigentlich eine major red flag. Ich hab es aber nicht gesehen. Oder wollte es nicht. Habe zugehört, wie diese Menschen, die schlau genug waren, sich von ihm zu entfernen, diskreditiert wurden. Allein während unserer Beziehung habe ich mindestens vier gute Freunde kommen und gehen gesehen. Die einzige, die immer geblieben ist, bin ich.
Und dabei war ich so oft so kurz davor, die Beziehung gegen die Wand zu fahren. Was rückblickend das beste gewesen wäre, das mir hätte passieren können, kam mir vor wie ein furchtbares Desaster. Also tat ich alles in meiner Macht stehende, um das zu verhindern. Ich tat alles, um ihn wieder umzustimmen. So brachte er mich immer wieder dazu, mich seinen Vorstellungen von mir anzupassen. Seinen Vorstellungen einer perfekten Freundin. Ich stellte mich wahnwitzigen Vorwürfen, die ich zwar infragestellte, aber nie den Mut aufbrachte, mich dagegen zu wehren. Sobald ich doch defensiv reagierte, gab ich ihm damit nur noch mehr Grund, mich schlechtzumachen. Es war ein Teufelskreis.
Das Schlimmste an der Sache: Bis auf das Manipulieren war er, aus meiner damaligen Sicht, der “perfekte” Freund. Zumindest der aus dem Bilderbuch, mein Bauchgefühl sagte etwas anderes. Auch, wenn es sich für mich falsch anfühlte, machte er vermeintlich alles richtig: Er war da, er war erreichbar, er stand hinter mir, wollte mich jeden Tag sehen, Zeit mit meinen Freunden verbringen. Genau das machte es so schwer, mich gegen ihn zu wehren. Auch, wenn ich wusste, dass da was nicht stimmte – ich konnte es nicht greifen. Was ich als übergriffig empfand, nannte er beschützend, wenn ich laut werden ließ, dass ich mich unter Druck gesetzt fühle, fragte er, ob ich mit echter Liebe nicht umgehen könne. “Hast du je jemanden mehr geliebt als mich?”, fragte er mich. Ständig. Was sich wie eine Zwangsjacke anzufühlen begann, war verkleidet als ein Rosenstrauss, den abzulehnen lächerlich gewesen wäre. Nur, dass er das eben nicht war. Aaron brachte mich dazu, mich gegen meine Freunde zu richten. Ich verriet deren Geheimnisse, weil “wir einander alles erzählen” – durfte ihnen aber nichts mehr über Aaron sagen. Es kam zu Interessenkonflikten, und während alles in mir zu meinen Freunden stehen, ihnen gegenüber loyal sein wollte, machte ich das, was er von mir verlangte.
Was sich wie eine Zwangsjacke anzufühlen begann, war verkleidet als ein Rosenstrauss, den abzulehnen lächerlich gewesen wäre.
Ich verbrachte nicht mehr gerne Zeit mit Aaron. War erleichtert, wenn er mir absagte oder sich mal den ganzen Tag nicht meldete – und gleichzeitig besorgt, dass ich etwas falsch gemacht haben könnte. Er hatte mein ganzes Leben in Beschlag genommen. Ich wollte ihn nicht mehr sehen, aber fand keinen Weg, mich aus der Schlinge zu befreien, die ich da um meinen Hals spürte. Die ich selbst mit angelegt hatte. Die Treffen fühlten sich an wie ein Zwang, und ich gab mir Mühe, ihn aus meinem Freundeskreis rauszuhalten. Es schnell und unbemerkt hinter mich zu bringen. Das war im dritten Jahr.
Nicht erst im vierten und letzten Jahr unserer Beziehung fielen mir die Lügen auf. Mittlerweile wusste ich, dass er mich manipulierte – ich wusste nur nicht, wie ich ihn verlassen konnte, ohne vor ihm mein Gesicht zu verlieren. Keine Ahnung, warum mir das überhaupt noch wichtig war. Ich hatte aufgehört, alles zu glauben, was er sagte. Ihm Dinge zu erzählen. Irgendwann redete nur noch er, während ich versuchte, mich abzuschotten – und es fiel ihm nicht mal auf. Er war zufrieden damit, jemanden zu haben, bei dem er alles abladen konnte. Mit der großen Liebe, von der er immer sprach, hatte das wenig zu tun. Es waren kleine Lügen, unscheinbare. Über das Deo, das er verwendete. Was, im Detail, jemand gesagt hatte. Ich tat das all die Jahre als Unsicherheiten oder als Missverständnisse ab, unwichtig – was es ja im Grunde auch war. Aber dann waren da auch andere, größere, besorgniserregendere Lügen.
Das waren die Momente, in denen ich vollends desillusioniert wurde. Ab hier wartete ich nur noch auf eine gute Gelegenheit, ihn zu verlassen. Den Mut, ihm alles zu sagen, was ich dachte, hatte ich trotzdem nicht. Er würde sich rausreden, er würde mir die Schuld geben, er würde es schaffen, alles so hinzustellen, als sei ich die mit der falschen Wahrnehmung.
Und so war es letztlich auch. Aber auf einmal war es mir egal. All seine Beleidigungen prallten einfach an mir ab. Ich war so froh, nach vier Jahren endlich ein Schlupfloch gefunden zu haben. Einen eindeutigen Fehler, auf den ich zeigen konnte, selbst, wenn nur ich selbst mir das abnahm. Er drehte alles um, gab an, ich hätte mir Gesagtes eingebildet, oder sei eine Lügnerin, die sich das ausgedacht hatte, um ihn schlecht darzustellen. Das war das letzte Warnzeichen, und diesmal erkannte ich es. Es gab mir den nötigen Mut, wirklich zu gehen: Ich wusste, was ich gesehen hatte. Ich wusste, dass ich nicht log. Das konnte selbst Aaron mir nicht mehr einreden.
Natürlich war nicht alles an dieser Beziehung schlecht. Wir hatten wundervolle Momente, die ich anfangs genoss, und später genossen hätte, wenn ich mich nicht dazu gedrängt gefühlt hätte. Und ja, ich habe ihn wirklich geliebt und bis heute denke ich immer wieder an Aaron, und was er wohl so macht. Vor allem aber frage ich mich in solchen Momenten, ob er gerade wieder dasselbe mit einem neuen Freund oder einer neuen Freundin macht. Und auch, wenn ich manches an ihm vermisse, ist nach der Beziehung eine riesige Last von meinen Schultern gefallen – und ich will um keinen Preis dorthin zurück. Wir haben einander nie wieder gesprochen.